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Kollateralschaden II

Kaminer im Spiegel-Online-Interview: Typisch böse-ironisch sagt er das gleiche wie Roman Goncharenko — nur ein wenig drastischer, wie wir es von Kaminer erwarten und bei ihm mögen…

Kaminer „stehen die Haare zu Berge“ und er fühlt sich „verarscht“, wenn er an die Visa-Affäre denkt. Interessanterweise benutzt auch Kaminer in diesem Zusammenhang das Wort Kollateralschaden:

Diese Affäre hat Auswirkungen auf alle Ausländer. [...] Jetzt werden sie zum Kollateralschaden des Versuchs, Außenminister Joschka Fischer endlich aus dem Amt zu jagen. Ich persönlich fühle mich, offen gesagt, verarscht. Seit ich vor 15 Jahren aus Moskau nach Berlin kam, versuche ich unterschiedliche Kulturen zusammenzubringen und zu zeigen, dass der Fremde nicht naturgemäß ein schlechter Mensch ist. Und jetzt verbreiten die deutschen Medien unisono den Eindruck, dass die Ukrainer — die merkwürdigerweise vor kurzem noch als Helden der Demokratie gefeiert wurden — wesentlichen eine Horde von Dieben, Mördern und Prostituierten sind, die nur darauf warten, hier einzufallen.

Den Einwand, daß bei fünf Millionen Arbeitslosen Schwarzarbeiter hier nicht gerne gesehen sind, bügelt er grandios ab:

Bei denen, die sie hier für Hungerlöhne beschäftigen, sind sie sehr populär. Und bei den Friedmännern stehen ukrainische Huren offensichtlich auch hoch im Kurs.

Kaminer bringt die Erfahrungen aller Nicht-EU-Bürger auf den Punkt, die nach Deutschland einreisen wollen: Je höher die Einreisehürden für den Einzelnen sind, um so mehr wirklich Kriminelle würden einreisen, denn sie fänden immer einen Weg, während „Normalsterbliche“ ausgebremst werden:

Meine Schwiegermutter zum Beispiel, die schon gut 20 Mal in Deutschland war, muss immer wieder aufs Neue beweisen, dass sie ein guter Mensch ist. Dafür muss sie jeweils zwei Tage mit dem Zug aus dem Nordkaukasus nach Saratow zum Konsulat fahren. Einmal hat sie als Reisegrund angegeben, dass sie auf unsere Kinder aufpassen wolle. Natürlich bekam sie sofort eine Absage wegen des Verdachts der Aufnahme einer illegalen Beschäftigung. Ich habe eine private Umfrage in meinem Freundeskreis gestartet. Danach hat in letzter Zeit nur ungefähr jeder zehnte, der einen Antrag auf ein Besuchsvisum stellte, auch eines bekommen. Eine Bekannte wollte letztes Jahr ihre Freundin aus der Ukraine einladen. Das Konsulat hat zunächst Briefwechsel gefordert; dann Telefonrechnungen, die ausweisen, dass sie miteinander telefoniert haben; schließlich ein Video, auf dem sie beide zusammen zu sehen sind. Aber auch das Video half nichts: Sie bekam eine Absage. [...] Ich schlage vor, die Regierung sollte alle Konsulate im Osten einfach schließen. Dann wäre Deutschland endlich sicher.

Im Gegensatz zu Goncharenko sieht Kaminer den langfristigen Schaden nicht bei den Ukrainern, sondern bei den Deutschen, die auf diese Art nie aus der „Tiefgarage“ ihrer Fremden-Ressentiments herauskäme.

Der Schaden, der durch diese Kampagne und die erzeugte Angst vor Fremden entsteht, ist nachhaltiger als jeder Außenminister. Fischer wird irgendwann in den Geschichtsbüchern stehen. Aber was den Deutschen unter der Kopfhaut hängen bleibt, sind die “Huren, Diebe und Schwarzarbeiter”.

Seine Konsequenz:

Ich wollte ein paar Freunde aus der Ukraine einladen, aber angesichts dieser Affäre treffen wir uns jetzt besser in Prag oder in Polen.

Vollständiges Interview auf www.spiegel.de, im Moment noch kostenfrei.

von elya, 14.03.05
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Jungs in Uschhorod „Aber zurück zu dem Bild, das mir nicht aus dem Kopf geht: der kleine Junge, versunken in die Betrachtung des Flusses. Da drüben beginnt die Neue Welt.“
(Jurij Andruchowytsch, Mein Europa)