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Kaffeetrinken mit Iwan P.

Eigentlich wollte ich nur zwei Bücher in dem Buchladen am Petöfi-Platz abholen, die ich gestern aus Mangel an Bargeld hatte zurücklegen lassen – andererseits war mir schon klar, daß sich mit dem ruthenischen Dichter, der den Laden führt, ein interessantes Gespräch ergeben könnte, vielleicht über die ruthenische Sprache, über deren Status als Sprache man trefflich verschiedener Meinung sein kann.

“Feini Knigy” und “Brot für die Seele” steht in großen Lettern am Schaufenster – geöffnet ist der Laden “von morgens bis abends”, Mittagspause ist, “wenn’s was zu essen gibt”. Die auf den ersten und zweiten Blick komische Mischung aus ukrainischen und russischen Buchstaben, dazu noch Wörter in transkarpartischem Dialekt (oder: ruthenischer Sprache), zogen mich letzten Oktober schon in das winzige Antiquariat.

Iwan Petrowzi erkennt mich auch gleich wieder, und bevor ich nach meinen Gedichtbänden fragen kann, lädt er mich mit blumigen Worten und seinem Gästebuch unter dem Arm zu einem Kaffee in der Bar nebenan ein, von wo aus er seinen Laden gut im Auge behalten kann. Er bereitet mich drauf vor, daß ich etwas auf deutsch und auf ukrainisch oder russisch schreiben sollte, seinetwegen gerne Goethe zitieren, oder was ich eben wollte… Schweißperlen auf der Stirn und fieberhaft nach einem Zitat in meinem löchrigen Gedächtnis grabend, folge ich ihm.
Iwan Petrowzy  vor seinem Laden

Ein paar Brocken deutsch auspackend, erzählt er von seiner Armeezeit in Dresden in den sechziger Jahren, und daß eigentlich keine Westukrainer zum Wehrdienst nach Deutschland gelassen wurden, weil sie als politisch unzuverlässig galten. Petrowzi, Jahrgang 1945, stammte zwar aus einem der Dörfer nicht weit von hier, zog jedoch als Kind mit seiner Mutter ins östliche Donbassgebiet. Von dort wurde er schließlich in die Armee eingezogen und kam so auch in die DDR. Dreieinhalb Jahre war er “Okkupant” in der sowjetischen Kommandantur in Dresden. “In der ganzen Zeit habe ich nicht einen einzigen Soldaten aus Transkarpatien in der DDR getroffen.”

Der Kaffee schmeckt sehr lecker hier, und schließlich fallen mir ein paar Zeilen von Hannes Wader über Freiheit und Brüderlichkeit ein, die ich sehr mag. Nicht gerade Goethe, aber es wird wohl reichen.

Petrowzi, der nach seiner Rückkehr aus Deutschland in Uschhorod Romanistik studierte und dann als Französischlehrer in seinem Heimatort arbeitete, dichtet sowohl auf Ukrainisch als auch auf Ruthenisch. Außerdem hat er ungarische und französische Autoren übersetzt, u.a. Baudelaire. Auf seine alten Tage – er wird nächste Woche 60 – hat er, vermutlich auch aus eigenen Beständen, dieses Antiquariat eröffnet, das durchaus gut besucht ist; während ich bei ihm stehe, kommen mehrere vor allem jüngere Leute herein, die nach ganz speziellen Sachen suchen, die es in den normalen Buchläden vor Ort nicht gibt, oder die in Kyjiw sehr teuer sind.

Petrowzi gehört zu den Leuten in dieser kleinen Stadt, mit denen ich sofort zwei bis drei gemeinsame Bekannte finde, und denen ich trotzdem ganz zufällig über den Weg laufe. So etwas passiert mir nur in Uschhorod.

P.S.: Über die Ruthenische Sprache reden wir dann ein andermal.

Petrowzys persönliche Website (besser mit Popup-Blocker besuchen…)

von elya, 12.05.05
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Jungs in Uschhorod „Aber zurück zu dem Bild, das mir nicht aus dem Kopf geht: der kleine Junge, versunken in die Betrachtung des Flusses. Da drüben beginnt die Neue Welt.“
(Jurij Andruchowytsch, Mein Europa)